Die Madagascar – Welches Schicksal ereilte das viktorianische Goldschiff?

07/13/2018

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Seit über 150 Jahren ist das Schicksal der Madagascar, einer britischen Dreimast-Blackwall-Fregatte, ungeklärt. Gerüchte zur damaligen Zeit rankten sich um alle möglichen Szenarien. Fiel die Madagascar einem Sturm zum Opfer? Sank ein Eisberg die Fregatte bei dem Versuch das chilenische Kap Hoorn zu umfahren? Oder überfielen Piraten das reichbeladene Schiff? Auch eine Meuterei der Crew, der sich einige Passagiere anschlossen, war ein beliebtes Gerücht.

Die Madagascar wurde 1837 in der Blackwall Werft in London für die Familie Green gebaut. Bis 1852 transportierte die Fregatte Passagiere und Seekadetten, die zu Offizieren ausgebildet wurden, von England nach Indien.

1853, zur Zeit des ersten australischen Goldrausches, beförderte sie dann englische Emigranten, auf der Suche nach ihrem Glück, zum australischen Kontinent. Da sie eine schnelle Fregatte war, wurde ihr die Aufgabe anvertraut, Gold bei der Bank of England abzuliefern. Nicht nur der Sinn und Zweck der Madagascar, sondern auch der Kapitän war ein Neuer. Es übernahm der Anfang 30-jährige Fortescue William Harris.

Am 10. Juni 1853 lief das Schiff in den Hafen von Melbourne ein. 14 der 60 Mann starken Besatzung erlagen der Versuchung und schlossen sich dem Goldrausch an. Kapitän Harris hatte Probleme, neue Besatzungsmitglieder zu finden und konnte lediglich 3 neue Männer anheuern.

Am 10. August 1853 sollte sich die Madagascar auf den Weg zurück nach London begeben. An Bord waren 110 Passagiere und verschiedene Frachtgüter; darunter Wolle, Reis und 2 Tonnen Goldstaub mit einem damaligen Wert von £240.000 (heute umgerechnet fast 30.000.000 € ).

Doch die Abfahrt verzögerte sich um zwei Tage. Die Polizei kam an Bord und verhaftete den Bushranger John Francis. Als Bushranger wurden im 18. und 19. Jahrhundert australische Gesetzlose bezeichnet, deren Rückzugsgebiet die unwirtliche Buschlandschaft war.

Kurze Einleitung zu den Bushrangern

Am darauffolgenden Tag wurden zwei weitere Männer – ebenfalls Bushranger – festgenommen. Die drei Männer wurden beschuldigt, an dem McIvor-Goldüberfall beteiligt gewesen zu sein.

Am 12. August 1853 konnte die Madagascar letztlich doch noch ihre Segel setzen. Sie verließ die Bucht Port Phillip und segelte in Richtung offenes Meer. Dies war das letzte Mal, dass die Fregatte gesehen wurde.

Der McIvor Goldraub

In den 1850er und 1860er Jahren gab es im australischen Bundesstaat Victoria einen Goldrausch – vergleichbar mit dem in Kalifornien von 1848 bis 1854 –, der dazu führte, dass sich die Bevölkerung innerhalb von nur zehn Jahren verdoppelte. Der Goldraub fand einige Wochen vorher, am 20. Juli 1853, statt.

Mindestens 6 Bushranger, angeführt von John Grey, überfielen eine Goldeskorte auf dem Weg vom McIvor Goldfeld nach Kyneton, wo sie sich mit einer anderen Eskorte treffen und die wertvolle Ware gemeinsam nach Melbourne bringen sollten. Die Eskorte führte 2230 Unzen (ca. 63 kg) Gold und 700£ in bar mit sich.

Kurz nachdem sie den Campaspe River überquerten, bemerkten sie einen Baumstamm, der quer über einem besonders schmalen Teil der Straße lag und sie an der Weiterfahrt hinderte. In der Nähe dieses Baumstammes befand sich ein Haufen zusammengelegter Zweige, der den Wachen der Eskorte aber anscheinend nicht verdächtig vorkam, da sie ihr Augenmerk darauf legten, wie sie den wegversperrenden Baumstamm am besten beiseite räumen könnten.

Mc Ivor Ausgrabungen 26. Juli 1853

McIvor Ausgrabungen im Jahr 1853 | © Julius Hamel, Edward La Trobe Bateman, J.S. Campbell & Co. lithographer / gemeinfrei / State Library of Victoria

In diesem Moment der kollektiven Unachtsamkeit, schlugen die Bushranger zu. Sie sprangen hinter dem Zweighaufen hervor, eröffneten das Feuer und noch bevor einer der Männer der Eskorte reagieren konnte, wurden drei von ihnen durch Schüsse verletzt.

Die übrigen Männer erwiderten das Feuer, bis sie keine Munition mehr hatten und zogen sich dann zurück, um nach Unterstützung zu suchen. Zu dieser Zeit war ein weiterer ihrer Männer im Kampf verwundet und ihr Zugpferd getötet worden. Als sie mit dem lokalen Goldkommissar und einigen Soldaten an den Ort des Geschehens zurückkehrten, fanden sie nur noch aufgebrochene Kisten vor, dessen wertvollen Inhalt die Räuber offensichtlich entwendet hatten.

Die Jagd nach den Verbrechern und die Angst der Bevölkerung

Schnell wurde eine ausgeweitete Suche organisiert. Sogar die Goldgräber von den benachbarten Feldern schlossen sich dem Unterfangen an, um die Verbrecher zu finden, die ihren Besitz stahlen. Die Angst und Wut verbreitete sich innerhalb der Kolonie. Nicht nur die Eskorten in anderen Distrikten waren in Gefahr, sondern auch der Unmut auf die Anwesenheit von Ausreißern und Ex-Sträflingen steigerte sich enorm.

Die Regierung setzte auf die Bushranger um John Grey ein Kopfgeld in Höhe von 2000£ aus. Das Unternehmen, das für die Goldeskorte zuständig war, übernahm für den Verlust die Verantwortung und erhöhte den Betrag um weitere 500£, wovon die eine Hälfte für die Verurteilung der Räuber und die andere Hälfte für die Wiederbeschaffung der gestohlenen Güter ausgesetzt wurde.

Die Bushranger hatten bei dem Überfall auf die Goldeskorte Wollschals um ihren Kopf gewickelt, um eine Identifizierung zu verhindern. Bei ihrer Flucht nahmen sie ihre Verwundeten mit sich, aber ließen zwei ihrer Pferde und – wichtiger noch – einige Zinnkännchen, auf denen ihre Namen standen, zurück.

DIe Melbourner Polizei kannte nun die Namen der Bushranger. Es waren, neben ihrem Anführer John Grey, die Brüder John und George Francis, George Wilson, George Melville und William Atkyns an dem Überfall beteiligt.

Drei von ihnen – namentlich John und George Francis sowie George Wilson – versuchten zusammen mit ihren Frauen nach England zu fliehen, indem sie eine Überfahrt mit der Madagascar buchten.

George Melville und seine Frau hatten sich Mauritius als ihr Fluchtziel ausgesucht. Sie buchten eine Überfahrt mit der Collooney. William Atkyns wollte sich samt Frau mit dem Dampfschiff Hellespont nach Sydney absetzen.

Verhaftung und Exekution

Jedoch gelang den fünf Gesetzlosen die Flucht nicht. Am 10. August durchsuchte die Melbourner Polizei, in der Annahme, dass eine Flucht nach Übersee für die Gesuchten eine naheliegende Option wäre, die Madagascar. John Francis war der Erste, der verhaftet wurde. Am darauffolgenden Tag nahm die Polizei George Wilson, ebenfalls an Bord der Madagascar, fest. Den anderen Francis-Bruder George ereilte das gleiche Schicksal, als er im Begriff war, die Fregatte zu betreten.

George Francis bot der Melbourner Polizei Beweise gegen die anderen beteiligten Bushranger an. Im Gegenzug dafür, verlangte er die Freiheit für seinen Bruder und sich selbst. Um gegen die anderen vier Täter auszusagen, brachte die Polizei George Francis zurück nach McIvor.

Melbourne 1857 Viktorianisches Zeitalter

Gt. Bourke St. in Melbourne im Jahr 1857 | © S. T. Gill / gemeinfrei / State Library of Victoria

Auf dem Rückweg nach Melbourne, am 23. August, begang George Francis Selbstmord. Währenddessen wurden zwei weitere Komplizen, George Melville und William Atkyns, in Melbourne verhaftet. Ihr Anführer John Grey konnte fliehen und wurde nie wieder gesehen.

John Francis trat als Kronzeuge auf und lieferte alle nötigen Beweise für eine Verurteilung seiner Komplizen. Die drei anderen Angeklagten Melville, Wilson und Atkyns wurden am 3. Oktober 1853 im Gefängnis Old Melbourne Gaol gehängt, während die Polizei Francis und seiner Frau eine Überfahrt nach Übersee erlaubte. Man vermutet heute, dass sie sich am Kap der Guten Hoffnung niedergelassen haben.

Was geschah mit dem verschollenen Schiff? Ein paar mögliche Theorien zur Madagascar

Während der Gerichtsverhandlung behaupteten die Männer der überfallenen Eskorte, dass an dem Überfall mehr als die sechs identifizierten Täter beteiligt waren. Dies befeuerte den ohnehin schon vorhandenen Glauben in der Bevölkerung, dass die Madagascar Gesetzlosen – vielleicht ja sogar bisher nicht identifizierten Beteiligten des McIvor-Goldüberfalls, die beim Durchsuchen der Fregatte den Polizisten nicht verdächtig erschienen – zum Opfer gefallen ist.

Im Laufe der Zeit entwickelten sich viele Geschichten – fiktionale sowie non-fiktionale – rund um das Verschwinden der Madagascar und den McIvor-Goldüberfall. Deswegen ist es heutzutage schwer zu sagen, was genau der Madagascar widerfahren ist. Viele vermuten eine natürliche Ursache, wie zum Beispiel einen schweren Sturm, der das Schiff zum sinken brachte. Sogar die Kollision mit einem Eisberg wird in Betracht gezogen.

Auch ein Unfall, zum Beispiel in Form eines großen Feuers, oder sogar ein Piratenüberfall erscheinen einigen Hobbyforschern plausibel.

Besonders beliebt in den Erzählungen, die schon im 19. Jahrhundert kursierten, ist eine Meuterei der Crew, der sich einige zwielichtige Passagiere anschlossen. Diese Theorie vertritt auch der Amateur-Historiker Gerald Crowley. Nach intensiver Recherche ist er zu dem Schluss gekommen, dass Unbekannte die Madagascar weit draußen auf dem Pazifik kaperten, sie dann Richtung Norden manövrierten, wo die Fregatte letztendlich auf einem französisch-polynesischen Atoll gesunken sein soll.

Anuanuraro Archipel im Pazifischem Ozean

Anuanuraro im Pazifischem Ozean aus der Luft | © NASA / gemeinfrei / Wikimedia Commons

Zu diesem Atoll, mit dem Namen Anuanuraro, das sich 1500 km südöstlich von Tahiti befindet, reiste Crowley mit seinem französischem Forschungspartner Albert Mata zwischen 1997 und 2014 mehrmals.

Das Gebiet dort ist weitestgehend naturbelassen. Das Klima ist rau und unerbittlich. Haie tummeln sich in der Lagune.

Die Forschungsarbeiten für Crowley und Mata waren aufwendig und ermüdend, doch es gelang ihnen, einige Artefakte zu finden, die auf die Existenz eines Schiffswracks ganz in der Nähe des Atolls hindeuteten.

Einige dieser Artefakte waren kleine Teile aus Muntzmetall, einer speziellen Messingsorte, die im 19. Jahrhundert oft als Legierung für den Schiffsrumpf benutzt wurde. Dies passt zu den von Crowley gefunden Aufzeichnungen über die Madagascar, die zeigen, dass das Schiff Anfang des Jahres 1853 eine derartige Legierung bekommen hat.

Desweiteren haben Crowley und sein Partner eine mundgeblasene Flasche entdeckt, die wahrscheinlich vor den 1860ern hergestellt wurde, da danach die meisten Flaschen maschinell produziert wurden.

Es gibt Aufzeichnungen einer US-Expedition in diese Gegend aus dem Jahr 1841, in denen kein Schiffswrack Erwähnung findet. Das lässt den Schluss zu, dass die Flasche wahrscheinlich zwischen den Jahren 1841 und 1860 an den Fundort gespült wurde.

All die kleinen Dinge, die Crowley gefunden hat, ergeben zusammen ein größeres Bild. Dass irgendwo bei Anuanuraro ein Schiffswrack liegen muss, scheint also sicher zu sein. Ob es aber die Madagascar ist, kann man erst mit Gewissheit sagen, wenn man das Wrack gefunden hat.

Um die Küste rund um das Atoll abzusuchen, fehlen Crowley die finanziellen Mittel – und so wird es wohl noch einige Zeit dauern, bis das Geheimnis der Madagascar endgültig gelüftet wird.

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