Shell Grotto – Welches Geheimnis verbirgt die Muschelgrotte von Margate?

09/14/2018

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Margate, England Shell Grotto

Foto: Gernot Keller / CC BY-SA 2.5 / Wikimedia Commons / Bild zugeschnitten

Die Shell Grotto, auf Deutsch Muschelgrotte, ist einer der wenigen Orte auf der Erde, von denen nicht bekannt ist, wer sie gebaut hat – oder wann.

1835 entdeckt, verbleibt auch der Zweck der Grotte größtenteils ein Rätsel. Wer sie erbaut haben könnte und wofür, wollen wir in diesem Artikel genauer beleuchten.

Ab dem 16. Jahrhundert wurden insbesondere in Italien und Frankreich Grotten angelegt. Verziert durch Brunnen, Wasserfälle, Edelsteine und Muscheln wurden sie als Bäder, Kapellen oder Theater genutzt. In England sind insgesamt nur 20 bis 30 Grotten bekannt, davon alleine 2 in Margate. Neben der Muschelgrotte ist dort die Margate-Höhle anzufinden, die aber seit 2004 wegen Sicherheits- und Gesundheitsrisiken geschlossen ist.

Die Geschichte Margates und die Entdeckung der Muschelgrotte

Margate ist eine kleine, etwa 57.000 Einwohner große Küstenstadt in der Grafschaft Kent im Südosten Englands. Sie besitzt eine stolze Seefahrtsgeschichte und ist schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts wegen seiner Sandstrände ein beliebtes Urlaubsziel für Londoner.

Obwohl die Stadt versucht, den Anschein eines attraktiven Urlaubsortes zu erhalten, ist Margate heutzutage – wie so viele andere englische Küstenstädte – nur noch ein Schatten der vergangenen, glorreichen Tage. Die Muschelgrotte ist wohl eine der wenigen Attraktionen, die Touristen dieser Tage in die verschlafene Küstenstadt zieht.

Küstenstadt Margate in England

Margate im Jahr 1895 | © trialsanderrors / CC BY 2.0 / flickr.com

1835 wollte James Newlove eigentlich nur einen Ententeich graben, als er mit seiner Schaufel durch den Boden in eine unterirdische Öffnung eindringt. Daraufhin schickte er seinen Sohn mit Hilfe eines Seils in die neu entdeckte Höhle. Dieser stellte schnell fest, dass der Hohlraum nicht natürlichen Ursprungs sein kann.

Drei Jahre später konnte sich auch die Öffentlichkeit davon überzeugen. Schnell wurde die Shell Grotto zu einer lokalen Touristenattraktion.

Wie sieht die Shell Grotto im Inneren aus?

Von außen sieht die Shell Grotto recht unscheinbar aus – insbesondere in einer Gegend, die schon bessere Zeiten gesehen hat.

Wenn man das kleine Eingangsgebäude betritt, erwartet einen ein Souvenirladen, ein Café und ein Museum, das die Geschichte der Grotte erzählt.

Eine Treppe führt zu einem schmalen Gang, der Nordpassage genannt wird.  Am Ende der Nordpassage gelangt man in die sogenannte Rotunde, einem kreisförmigen Gang, der wiederum in einem mit Tageslicht gefluteten Raum mit einer nach oben offenen Kuppel mündet.

Von dort führt die sogenannte Serpentinenpassage in einen rechteckigen Raum, der als Altarraum bekannt ist. Die Gewölbedecke und Teile der Wand des Altarraums wurden im 2.Weltkrieg zerstört und anschließend ohne die Muschelverzierungen wiederhergestellt.

Eine Karte der Muschelgrotte findest du hier.

Passage in Shell Grotto Margate

Passage in der Shell Grotto | © Barney Moss / CC BY 2.0 / flickr.com

Die Wände und Decken der gesamten Shell Grotto sind mit Millionen von Muscheln bedeckt, die unterschiedlichste Motive bilden. Diese Motive lassen sich in verschiedene Bereiche unterteilen. Jeder Bereich hat ein bestimmtes Thema, eine Geschichte, die erzählt wird. Dabei können viele Darstellungen auf verschiedene Weise interpretiert werden.

So können die Darstellungen – je nach Interpretation – zum Beispiel als typisch indische oder ägyptische Motive gesehen werden. Mit ein wenig Fantasie lässt sich eine Schildkröte, ein Krokodil, Bäume, Blumen, Götter, eine Sonne, ein Mond, Sterne und Trompeten und den Baum des Lebens erkennen. All diese Symbole haben keinen expliziten Bezug zum Christentum, was verwundert, da England seit über tausend Jahren christlich geprägt ist.

99% der Muscheln in der Shell Grotto stammen von Schalentieren, die an der englischen Küste vorkommen; darunter Miesmuscheln, Austern, Venusmuscheln, Wellhornschnecken, Messermuscheln und Napfschnecken. Lediglich im Altarraum findet man exotische Muscheln oder Panzer von Weichtieren aus der Karibik, wie etwa den Panzer einer Großen Fechterschnecke.

Früher muss das Innere der Grotte ein farbenfroher Ort gewesen sein. Heute haben die Muscheln ihr prächtiges Aussehen verloren, da sie von einer Rußschicht bedeckt sind, die von den in der viktorianischen Zeit verwendeten Gaslampen stammt. Die Reinigung mit Wasser ist nicht möglich, da sie die Muscheln stark beschädigen könnten.

Deswegen konzentriert man sich auf die bestmögliche Konservierung des aktuellen Zustands. Bei mehr als 4,6 Millionen verwendeten Muscheln und Panzern diverser Weichtiere, verteilt auf über 600m² Wand- und Deckenfläche, ist das ein nicht zu unterschätzender Arbeitsaufwand.

Wann und von wem wurde die Shell Grotto von Margate erbaut? Forscher sind sich uneinig

Auch der Bau der Margate-Grotte muss eine erhebliche Zeit in Anspruch genommen haben. Forscher sind sich allerdings völlig uneinig, wann die Erbauer gelebt haben – oder wer sie überhaupt waren. Manche datieren die Muschelgrotte sogar zurück in die Prähistorie, andere halten es für wahrscheinlich, dass sie zur Zeit der Römer oder Phönizier erbaut wurde. Andere verorten die Anfänge der Shell Grotto in der Neuzeit, genauer gesagt im 18. Jahrhundert – nicht lange vor die Wiederentdeckung.

Der Grund für die so weit auseinanderliegenden Schätzungen, ist das Fehlen von datierten Materialien, was Raum für eine Vielzahl an Spekulationen lässt. Eine Radiokohlenstoffdatierung ist möglich, aber kostspielig, da man mehrere Proben nehmen müsste, um »Reparatur-Muscheln« von originalen Muscheln unterscheiden zu können. Die Verantwortlichen der Muschelgrotte wollen sich zuerst auf die dringend erforderlichen Konservierungsarbeiten konzentrieren.

Muschelverzierungen in Shell Grotto,Margate

Muschelverzierungen an der Wand der Muschelgrotte von Margate | © DenesFeri / CC BY-SA 2.5 / Wikimedia Commons / Bild zugeschnitten

Spuren von Werkzeugen, die einen Rückschluss auf die Erbauer erlauben könnten, sind nicht vorhanden. Der Mörtel, der die Muscheln an den Wänden und Decken hält, wurde analysiert. Die Proben zeigten, dass mehrere Verbindungen verwendet wurden – meist auf der Basis von einem »fischähnlichen« Material, das auch als römischer Zement bekannt ist.  Dies verleitet einige Forscher wohl dazu, die Entstehung der Muschelgrotte in die Römerzeit zurückzudatieren.

Nach Ansicht einiger Einheimischen wurde sie zur Zeit Königin Viktorias gebaut. Damals nahm der Muschelfang derart zu, dass als Nebenprodukt genügend Muschelschalen übrig blieben, die dann zur Dekoration der Grotte hätten verwendet werden können.

Dagegen spricht, dass zur damaligen Zeit in Margate niemand etwas von dem Bau einer derartigen Grotte mitbekommen hatte. In so einem kleinen Ort eher unwahrscheinlich. Bis zur Eröffnung 1837 wusste niemand etwas von der Shell Grotto.

Andere vermuten, dass die Bogenkonstruktion der Grottendecke auf eine Entstehung im 14. Jahrhundert schließen lässt. Zu dieser Zeit war diese architektonische Gestaltung äußerst beliebt. Wiederum dagegen spricht, dass diese Konstruktion nicht wegen ihrer architektonischen Gestaltung gewählt worden sein könnte, sondern weil sie einfach die geringste Einsturzgefahr – im Vergleich zu einem Flachdach zum Beispiel – mit sich bringt.

Der Zweck der Shell Grotto – Theorien, die ausgeschlossen werden können

Die Erbauer konnten bislang nicht identifiziert werden. Wie sieht es mit dem Zweck der Muschelgrotte aus?

Da die Muschelgrotte von Margate in keine Zeitepoche und dementsprechend auch keine Kultur eingeordnet werden kann, ist es schwer, einen Ansatz zur Zweckbestimmung zu finden.

Einige Vermutungen, die über die Zeit geäußert wurden, lassen sich aber widerlegen.

Ein Kerker war die Grotte nicht – dafür ist sie zu schön verziert. Ein Steinbruch war sie ebenfalls nicht. Dafür gibt es in der Gegend andere offensichtlichere Stellen. Außerdem werden Steinbrüche nicht in Form von Bogenkonstruktionen ausgehoben.

Dass die Grotte früher als Schmugglerhöhle verwendet wurde, kann auch ausgeschlossen werden. Die Schmuggler hätten dazu mindestens einen Fluchttunnel angelegt – und wenn sie ihre Ware per Schiff geschmuggelt hätten, auch noch mindestens einen Tunnel zur Küste. Auch die Wandverzierungen sprechen gegen diese Vermutung.

Kurzes englischsprachiges Video zur Shell Grotto

Andere vermuteten, dass die Grotte ein sogenanntes Folly (wörtlich »Narretei«) war. Folly ist eine englische Bezeichnung in der Gartenkunst und Architektur für ein dekoratives Bauwerk, das sich durch seine zugrunde liegende exzentrische Idee und eine besonders extravagante Ausführung auszeichnet. Wohlhabende Leute bauten sie, um ihren Reichtum zur Schau zu stellen –  ab 1700 auch vermehrt Lauben und Grotten, die mit Muscheln verziert waren.

Die Muschelgrotte von Margate wurde auf Ackerland errichtet. Es ist nicht bekannt, dass dort vor langer Zeit jemand Wohlhabendes gelebt hat. Außerdem liegt die Shell Grotto unterirdisch, was dem Zweck eines Follies, andere Menschen mit seinem Reichtum zu beeindrucken, auch widersprechen würde. Diese Theorie scheint sich demnach ebenfalls nicht bestätigen zu lassen.

Plausible Erklärungsversuche

Die Vermutung, dass die Muschelgrotte von Margate eine Kultstätte war, kommt der Wahrheit wohl näher.

Der Altarraum besitzt eine Nische, die als Altar benutzt worden sein könnte – durch diese Annahme erhielt der Raum logischerweise auch seinen Namen.

Shell Grotto Altar im Altarraum

Altar in der Shell Grotto | © Oast House Archive  / CC BY-SA 2.0 / geograph.org.uk / Bild zugeschnitten

Die Rotunde macht in diesem Zusammenhang auch Sinn. In einigen Religionen ist das konzentrische Gehen eine übliche Methode, um mit den Göttern in Kontakt zu treten.
Mick Twyman, Forscher von der Margate Historical Society , hat nach ausführlichen eigenen Recherchen die Theorie aufgestellt, dass Freimaurer diesen Ort dazu nutzten, ihre Rituale durchzuführen. Neben dem möglichen Altar, der auch bei bekannten Freimaurer-Ritualen Verwendung fand, sprechen Muscheldarstellungen im Inneren der Shell Grotto, die einige freimaurerische Symbole wie Kompass, Quadrat, Davidstern, Pentagramm, Tetraeder und Tafeln mit Symbolen alter Götter zeigen, für diese Theorie.

Twyman untersuchte nicht nur den möglichen Verwendungszweck der Grotte, sondern machte sich zum Entstehungsdatum ebenfalls Gedanken.

Seiner Meinung nach könnte die nach oben geöffnete Kuppel am Ende der Rotunde zwischen März und Oktober als Sonnenuhr fungiert haben. Das durch die Öffnung auf die Kuppel projizierte Sonnenlicht nahm am 21. Juni 2006 um 12:00 Uhr die Form eines Eies an und spiegelte sich auf dem Bauch einer Mosaik-Schlange, die die Sonnenstrahlen wiederum auf den Altar im Altarraum reflektierte. Twyman stellte unter Berücksichtigung des sich alle 72 Jahre ändernden Winkels der Tagundnachtgleiche komplexe Berechnungen an und kam zu dem Ergebnis, dass das Entstehungsjahr 1141 n.Chr. sein muss.

Öffnung in der Kuppel der Shell Grotto

Öffnung in der Kuppel der Shell Grotto | © Martin Hearn / CC BY 2.0 / flickr.com

Als Erbauer vermutet er nicht die Freimaurer, die 1141 n.Chr. nach der offiziellen Geschichtsschreibung noch gar nicht existierten, sondern die Tempelritter. Dies folgerte der Forscher, nachdem er die Größe und den Bau der Grotte selbst – insbesondere die Winkel – betrachtete.

Zusammenfassend sagt Twyman also, dass die Tempelritter die Shell Grotto 1141 n.Chr. aus unbekannten Gründen gebaut haben und zu einer späteren Zeit nutzten dann die Freimaurer die Anlage, um ihre Rituale durchzuführen. Nach Twymans Theorie waren es demzufolge auch die Freimaurer, die die Muschelverzierungen vollständig oder zumindest teilweise anbrachten, da viele eine freimaurerische Symbolik enthalten.

Ein Mitarbeiter der Kent Archaeological Society kam dagegen zu einem ganz anderen Schluss. Er veröffentlichte seine Ergebnisse kurz nach Mick Twyman in einem 14-seitigen Dokument, in dem er letztendlich zu der Überzeugung kam, dass die Shell Grotto eine mittelalterliche Kreidemine war.

Weiter führt er aus: »Die Fertigkeit, die erforderlich ist, um die Passagen auf einen relativ komplexen, vorgegebenen Plan zuzuschneiden, deutet darauf hin, dass die Grotte im 17. Jahrhundert, aber eher im 18. Jahrhundert überarbeitet worden sein könnte. Es ist wahrscheinlich, dass die Muscheldekoration zur gleichen Zeit oder sehr kurz danach durchgeführt wurde.«

Zum Verwendungszweck hat der Verfasser dieses Dokuments jedoch keine stichhaltige Theorie.

Ob eine der beiden Theorien in naher Zukunft belegt oder widerlegt wird, müssen weitere Untersuchungen – im Idealfall Radiokohlenstoffdatierungen – zeigen. Bei dem aktuellen Stand der Untersuchungen bleibt zu viel Spielraum für zu viele Theorien.

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